Nichts ist so so praktisch wie eine gute Theorie
Von Theorien, mentalen Modellen und Ihren Landkarten im Kopf
„Ach… das ist so theoretisch.“ „Das ist doch pure Theorie – die Praxis sieht doch ganz anders aus.“
Warum reagieren so viele Menschen allein auf das Wort „Theorie“ schon mit Aversionen? Weil Theorien fernab der Praxis sind? Weil Theorien so kompliziert und weltfremd daher kommen?
Ich glaube, dass Sie zu keiner einzigen Handlung fähig sind, ohne zuvor eine Theorie darüber zu haben. Wenn Sie eine neue Geschäftsidee haben, ein neues Produkt am Markt positionieren wollen, haben Sie eine Theorie im Kopf, wie das funktionieren könnte. Kurzum: Jeder Mensch hat über alles (s)eine Theorie – auch wenn ihm das meist nicht bewusst ist.
Sie sind ein „Ohrenmensch“ und höhen lieber anstatt zu lesen? Kein Problem – diesen Artikel gibt es auch als Podcast (16 min) und zwar hier:
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Beobachten Sie den Kellner in Ihrem Lieblingsrestaurant, wie er sich freut, wenn Sie das Lokal betreten, wie zuvorkommend und engagiert er Sie bedient. Dieser Mensch hat eine bestimmte Theorie im Kopf, darüber, was Sie und sein Job für ihn bedeuten.
Und Sie können davon ausgehen, dass er eine andere Theorie hat, als die Fleischverkäuferin im Supermarkt, bei der ich gestern kurz vor Feierabend gerne noch frisches Hackfleisch gekauft hätte. Ihre Reaktion auf meinen Wunsch: „Tut mir leid, der Fleischwolf ist schon geputzt.“
Wenn Ihr Auto ab 150 km/h plötzlich komische Geräusche macht und Sie deshalb in die Werkstatt fahren, hat der Mechaniker eine Theorie im Kopf, sonst wüsste er gar nicht wo er suchen sollte.
Sie sehen, Theorien sind nicht das Gegenteil von Praxis – im Gegenteil: Theorien sind super-praktisch, denn sie bilden die heimliche Grundlage unserer Worte und Taten und steuern diese, ohne dass uns das gross bewusst ist. Das Wort „Theorie“ leitet sich aus dem Griechischen θεωρία -> theoría ab, was soviel heisst wie Anschauung, Überlegung oder Einsicht. Es bedeutet nicht mehr oder weniger, dass wir mit einer Theorie ein Bild der Realität entwerfen und im besten Fall daraus Prognosen aus für die Zukunft ableiten können.
Kleine Theorien – grosse Theorien und mentale Modelle
Es gibt „kleine“ Theorien, die nur für eine bestimmte Zeit und eine bestimmte Situation Gültigkeit haben, z.B. wenn Sie für jemanden ein Geschenk aussuchen. Sie überlegen sich, wie dieser Mensch ist, was ihn interessiert und was ihm gefallen könnte und daraus leiten Sie eine „kleine Theorie“ ab, welches Geschenk passend wäre. Und es gibt die „grossen Theorien“ in unserem Kopf. Das sind persönliche Überzeugungen darüber, wie man…
- Kinder richtig erzieht. Hochphilosophische Grundsatzdiskussionen darüber können Sie geniessen, wenn Sie Eltern auf dem Kinderspielplatz lauschen.
- wie man Mitarbeiter oder ein Unternehmen führt.
- eine Geschäftsidee realisiert
- oder die Zugriffszahlen auf der Website steigert.
Und falls Ihnen das Wort „Theorie“ immer noch Unbehagen bereitet, dann nennen Sie das doch „mentale Modelle“ oder „Landkarten im Kopf“ – wie wir das im NLP tun. Sie sind Führungskraft? O.K. Wie sieht denn Ihr mentales Modell über Führung aus? Nein, bitte entgegen Sie mir jetzt nicht, dass Sie gerade keine hochwissenschaftlichen Führungstheorien zur Hand haben. Die meine ich nicht – die sind ja nicht von Ihnen. Ich meine Ihre ganz persönlichen Auffassungen und Überzeugungen darüber, was Führung eigentlich ist, wie man Mitarbeiter führen sollte und wie nicht. Ach, Sie meinen, darüber haben Sie keine Theorie. Doch haben Sie, ansonsten könnten Sie nämlich Ihren Job gar nicht tun. Aufgrund Ihrer Modelle im Kopf versuchen Sie sich zu erklären, warum der Mitarbeiter X permanent zu spät ins Meeting kommt oder die letzte Marketingaktion nicht den Erfolg brachte, den Sie sich erhofften. Sie leben in einer Partnerschaft? Dann haben Sie ein ziemlich umfangreiches mentales Modell darüber im Kopf, was für Sie in einer Partnerschaft angesagt ist und was nicht. Und dieses Modell beeinflusst unmerklich, wie Sie ihre Partnerschaft führen, was Sie sagen und was Sie tun, wie oft Sie Ihren Partner mit einem spontanen Geschenk überraschen, ob Sie einen gemeinsamen Freundeskreis haben oder nicht, ja selbst darüber, ob Sie ihren Partner beim Nachhausekommen in den Arm nehmen.. oder eben nicht. Vergessen Sie also für einen Moment einmal, dass Sie durch und durch ein rationaler Realist sind, dessen Handlungen einzig und allein auf Tatsachen und nackten Fakten beruht… was übrigens auch nur eine nette Theorie ist. MERKE:
- Hinter jedem Verhalten stecken eine Reihe von – meist unbewussten – Annahmen, Werte und Überzeugungen (die Theorie, das mentale Modell)- die das Verhalten erst möglich machen.
Warum es wichtig ist, seine mentalen Modelle zu kennen.
Vielleicht werden Sie nun sagen: Das ist ja alles gut und schön. Natürlich habe ich eine Unmenge von Hypothesen, Überzeugungen und Annahmen über alles Mögliche in meinem Kopf. Aber warum – um Himmels willen – soll ich mich denn damit beschäftigen? Wenn die Modelle in Ihrem Kopf Ihr Verhalten beeinflussen und Ihr Verhalten nicht zu den Ergebnissen führt, die Sie sich wünschen, wäre es doch nicht verkehrt, einmal zu schauen, ob Ihr Modell noch up to date ist. Wenn Sie in Heidelberg von der Heilig-Geist-Kirche zum Bismarckplatz wollen, wird Ihnen eine Wanderkarte aus dem Südschwarzwald nicht wirklich nützen. Wenn Sie merken, dass die Erziehungsversuche bei ihrem 14-jährigen Sprössling nicht (mehr) fruchten, wäre es nicht verkehrt, einmal über Ihre eigenen mentalen Modelle, sprich Annahmen und Überzeugungen nachzudenken. Ich z.B. kann mich noch gut daran erinnern, als meine grosse Tochter (20 Jahre alt) das erste Mal verliebt hat. Voller Unbehagen merkte ich, wie mein bis dato gültiges „Papa-Modell“ (= Papa ist der einzige Mann in meinem Leben, der alles weiss und alles kann) langsam aber sicher dahinschmolz und es an der Zeit war, es abzugraden. 😉 Unsere impliziten Theorien leiten unser Tun in einem bestimmten Kontext. Und solange wir sie uns nicht bewusst machen, entziehen sie sich unserer Einflussnahme. Wenn Sie also Ihr Handeln – ganz gleich in welchem Kontext – verändern wollen, sollten Sie sich bewusst sein, auf welchen gedanklichen Wurzeln Ihr Handel basiert.
Die eigenen Landkarten bewusst machen
Vielleicht haben Sie Lust, einmal hinter die Kulissen solcher mentalen Modelle zu blicken, um zu prüfen, wie nützlich oder unnütz die jeweilige Theorie ist? Wie geht das? Tipp Nr. 1: Versuchen Sie nicht darüber nachzudenken, welche Überzeugungen und Glaubenssätze Sie haben. Das geht meist in die Hose, da wir alle grosse Meister darin sind, uns selbst ein „X für ein U“ vorzumachen. Neuere Forschungen zeigen, dass Menschen nicht besonders gut darin sind, sich selbst zu beurteilen. Anstatt sich Knoten ins Hirn zu machen, empfehle ich Ihnen folgendes:
- Nehmen Sie eine Situation, die nicht nach Ihren Wünschen gelaufen ist. z.B. ein Verkaufsgespräch oder ein Disput mit Ihrem Partner.
- Schreiben Sie DANACH in Stichworten auf, wie Sie auf was reagiert haben (= Ihr Verhalten)
- Fragen Sie sich für jede Ihrer Reaktionen: Welche Annahme hatte ich dazu? Von was war ich überzeugt, dass es so ist? Was habe ich dem anderen unterstellt? Welche meiner Werte spielten für mich eine Rolle?
Kurzum: Beginnen Sie bei Ihrem konkreten Verhalten und leiten daraus Ihre Überzeugungen und Annahmen ab. Na und wenn alle Stricke reissen sollten und Sie einfach nichts über Ihre Theorien herausfinden – dann helfe ich Ihnen gerne weiter. Wenn Sie mir ein bestimmtes Thema nennen und noch zwei oder zwei typische Beispiele, wie Sie sich in diesen Situationen verhalten, kann ich Ihnen meist recht schnell die ersten Ansätze für Ihre Theorie nennen. Verwandter Artikel: „Die Bedeutungsleiter – oder warum sind Menschen manchmal so komisch“
Andere Landkarten erforschen… um sie zu verändern
Sie sind mehr daran interessiert, die Theorien und mentale Modelle anderer Menschen zu erforschen, um diese vielleicht sogar zu verändern? Ein gute Übungsmöglichkeit bietet Ihnen jedes Meeting: Wenn Ihr Kollege gerade zu erklären versucht, warum …
- das Unternehmen eine neue Marketingstrategie braucht
- oder das Produkt X besser aus dem Portfolio genommen werden sollte …
… dann hören Sie aufmerksam zu und fragen sich: Welche Werte muss der Kollege haben, um so zu argumentieren? Von welchen Glaubenssätzen muss er überzeugt sein? Welches Menschenbild muss er haben, dies so sagen zu können? Natürlich werden Ihre Antworten wiederum durch Ihre eigenen mentalen Modelle beeinflusst werden. Noch besser ist deshalb, wenn Sie beginnen, die unüberprüften Annahmen anderer offen zu hinterfragen.
- Wie kommen Sie denn zu dieser Schlussfolgerung?
- Was veranlasst Sie zu dieser Meinung?
- Welche Auswirkungen hätte Ihr Vorschlag auf…?
- Können Sie mir erklären, wie Sie zu dieser Aussage kommen?
- Verstehe ich Sie richtig? Sie meinen also…
Vielleicht haben Sie bemerkt, dass all diese Fragen im Prinzip auf ein „Warum denkst Du so wie Du denkst?“ abzielen. Wenn Sie einen Menschen fragen, warum er dieses oder jenes tut, sich vegan ernährt, seine Mitarbeiter über graphologische Gutachten auswählt oder seine Kinder auf eine Waldorf-Schule gibt, dann wird er Ihnen über seine mentalen Modelle, seine persönliche Theorie erzählen. Verwandter Artikel: „Der Gabungi oder die 5 Warum“ [info_box]Übrigens: Viele Techniken, Modelle und Übungen in meinen NLP-Business-Practitioner und NLP-Business-Master Kursen drehen sich genau um diese Themen: Die Erforschung und die zielgerichtete Veränderung von mentalen Modellen bei sich selbst, anderen Menschen und in Organisationen. [/info_box]
Und wie ändert man nun die mentalen Modelle?
Ahh, ich dachte mir schon, dass Sie das fragen: Ob bei sich selbst, einem Familienmitglied oder einem Kollegen – immer wieder stösst man auf Überzeugungen von denen man spontan denkt: „Ach du liebe Zeit – wie kann man denn so verquer denken?!“ Und am liebsten würde man sofort die verbalen Ärmel hinterkrempeln und diese Überzeugung seinem Mitmenschen ausreden, oder?!
Bevor ich Ihnen in einem der nächsten Blogartikel eine Technik vorstelle, wie man mentale Modelle bei sich und anderen Menschen erkennt und verändert… … überlegen Sie einmal kurz: Welche Überzeugungen Ihrerseits könnten dahinter stecken, wenn Sie (oft) den unbändigen Impuls in sich spüren, die Überzeugungen anderer Menschen ändern zu wollen? [WpProQuiz 5]
Bildernachweis: Artikelbild: Depositphotos-Theory @oxlock