Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern oder die Unmessbarkeit subjektiver Kriterien
Vor einigen Tagen war ich in einer grösseren Organisation unterwegs, in der es darum ging, ein leistungsbezogenes Entgelt einzuführen. Der Vorgesetzte bewertet die Leistung des Mitarbeiters und je nach Bewertung erhält der Mitarbeiter dann mehr oder weniger Entgelt. Im Prinzip ist das ja eine gute und faire Sache: Mitarbeiter, die mehr leisten, bekommen mehr Geld und umgekehrt.
… doch wie sah es in der Praxis aus?
Zunächst machte man sich viel Mühe – zusammen mit dem Betriebsrat – eine Liste mit Bewertungsmerkmalen aufzustellen z.B. „Der Mitarbeiter erledigt übertragene Aufgaben ohne Zeitverzögerung“ etc.. Die einzelnen Merkmale bekamen sogar Gewichtungsfaktoren und eine Bewertungskala von 1-5.¬† Nun sollten die Führungskräfte in einem jährlichen Beurteilungsgespräch jeden ihrer Mitarbeiter bewerten – und dementsprechend gab es dann eben mehr oder weniger Geld.
Soweit die vordergründig plausible und auch löbliche Theorie…
In der Praxis sah die ganze Sache aber völlig anders aus:
Zunächst fiel auf, dass
- es zwei Fraktionen bei den Führungskräften gab: Die einen schienen dieses Werkzeug der Leistungsbeurteilung zu lieben – die anderen lehnten es schlichtweg ab und votierten eher für eine Ausschüttung nach dem „Gieskannen-Prinzip“.
- keine der Führungskräfte die Skala der Bewertungen (0-10) voll ausnutze – kein Mitarbeiter bekam eine „0“¬† niemand eine „10“ – ja 80% der Bewertungen bewegten sich zwischen 4 und 6.
- einige Mitarbeiter „auf die Barrikaden gingen“, da sie sich ungerecht im Vergleich zu anderen Kollegen handelt fühlten. „Ich erledige meine Aufgaben mindestens genauso schnell wie Herr X. Warum bekomme ich dann nur eine „4“ und er eine „6“?
Momentane Quintessenz: Das Werkzeug der Leistungsbeurteilung wurde wieder „auf Eis gelegt“.
Dieser Fall ist kein Einzelfall – ich habe ihn in Variationen schon mehrere Male erlebt.
Die Frage ist: Was läuft hier schief? Warum funktioniert die Theorie nicht in der Praxis?
Einige Gedanken von mir hierzu – die ich gerne zur Diskussion stelle:
- Ein grundsätzliches Problem scheint darin zu liegen, dass bei solchen Ansätzen versucht wird, „subjektives“ objektiv zu betrachten. Die Leistung eines Sportlers kann ich nach allgemein anerkannten Massstäben in Zeit (min, sec.) oder Strecke (km, m) messen.¬† Meinetwegen kann ich auch die Leistung eines Verkäufers nach Umsatz/Monat messen. Aber wie lauten die objektiven Massstäbe für z.B. Eigeninitiative eines Mitarbeiters: „Wie selbstständig erledigt der Mitarbeiter seine Aufgaben?“
Nun könnte man natürlich immer feinere Unterkriterien für dieses Merkmal definieren („Anzahl der Rückfragen des Mitarbeiters“ etc.) bis man das ganze Werkzeug ad absurdum geführt hat. Meines Erachtens steht dahinter das verzweifelte Bemühen etwas objektiv(er) darzustellen, was nicht objektiv darzustellen ist.
Und – vielleicht etwas überspitzt – auch das impizite Bestreben die Eigenverantwortung als Führungskraft an ein Instrument abgeben zu können.
Ich denke: Letztendlich beurteilt die Führungskraft den Mitarbeiter – und zwar aus ihrer subjektiven Sicht. - Wenn diese Mitarbeiterbeurteilung nur ein Mal/Jahr durchgeführt wird – welche Erfahrungen zieht dann die Führungskraft zu Rate? Den gefühlten Durchschnitt der letzten 12 Monate oder vielleicht eher die besonders positiven oder negativen Erlebnisse mit dem betreffenden Mitarbeiter aus den letzten Tagen und Wochen?
- Wie stark hängt die Beurteilung wohl von weiteren Aspekten ab, wie z.B.:
- dem momentanen Befinden der Führungskraft bzw. ihren persönlichen Werten
Mag es z.B. sein dass eine Führungskraft, die „Zuverlässigkeit“ besonders schätzt einen Mitarbeiter anders beurteilt, als eine Führungskraft, der Kreativität weitaus wichtiger ist als Zuverlässigkeit. - dem psychologischen“Halo-Effekt“ beim Führen von mehreren Beurteilungsgesprächen
Wie schneidet ein Mitarbeiter z.B. bei dem Merkmal „Belastbarkeit“ ab, nachdem seine Führungskraft ein Gespräch mit einem Mitarbeiter hatte, der aus familiären Gründen momentan kaum belastbar erscheint? - der aktuellen Gesamtsituation des Unternehmens
- dem momentanen Befinden der Führungskraft bzw. ihren persönlichen Werten
Verstehen Sie mich bitte richtig: Ich plädiere hier nicht GEGEN die Einführung eines leistungsbezogenen Entgeltes, sondern lediglich gegen die Unmöglichkeit des Versuches, höchst subjektive Faktoren durch eine „Verinstrumentalisierung“ objetiv zu machen.
Oder wie es Paul Watzlawick einmal sinngemäss ausdrückte:
Unterscheide immer zwischen Wirklichkeit 1. Ordnung (objektive Fakten z.B. „Der Wein hat die Temperatur von 8 Grad Celsius“) und der Wirklichkeit 2. Ordnung „Der Wein ist einfach zu warm.“
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