Was ist professionelle Intuition?
Intuition? Jeder hat sie – kaum jemand kann sie wirklich greifen – manchmal gereicht sie uns zum Nutzen und mannchmal führt sie uns in die Irre.
Was professionelle Intuition ist und wie Sie Ihnen im Berufsleben nützlich sein kann, beschreibt Ihnen hier unser Kollege und Intuitionsxperte Dr. Andreas Zeuch:
Definition: Was ist „Professionelle Intuition“?
Professionelle Intuition umfasst die Steuerung von Kognitionen, Emotionen und Verhalten im beruflichen Kontext, die sich aus intuitiven Prozessen ergibt.
Nutzen: Was bringt Intuition im Berufshandeln?
Entscheidungshilfe
Entscheidungen sollen durchaus überlegt sein. Es gehört zu jeder Profession, eine gründliche Problemanalyse und Auswertung der vorhandenen Daten und Informationen vorzunehmen, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Es gibt aber auch immer wieder Entscheidungszwang unter Unsicherheit: Zum Zeitpunkt der Entscheidungsfindung reichen die Daten nicht aus, sind im Übermaß vorhanden oder widersprechen sich, so dass eine rein rationale Entscheidung nicht gefällt werden kann.
Dieser Augenblick ist die unüberwindbare Grenze selbst der klügsten computergestützten Entscheidungshilfen. Jetzt haben Sie zwei Möglichkeiten: Entweder sie werfen eine Münze, oder Sie folgen einem stimmigen Gefühl. Die Entscheidung iegt bei Ihnen.
Beziehungsgestaltung
Die Beziehungen zu Ihren Kollegen, Mitarbeitern, Vorgesetzten, Geschäftspartnern und Kunden spielen eine zentrale Rolle für Ihren Geschäftserfolg. Durch Kommunikations- und Führungskräftetrainings können Techniken zu einer effektiven Beziehungsgestaltung erlernt werden. Aber: Wann setzen Sie diese Techniken wie ein?
Kreativität & Innovation
Kennen Sie Bach? Oder Mozart? Oder – wenn sie klassische Musik nicht mögen – die Rolling Stones, Sting oder Miles Davis? Würden Sie sagen, dass diese Musiker kreativ und innovativ waren? Haben diese Künstler Kreativitätstechniken wie Brainstorming oder Synektik angewendet? Nein. Aber sie waren doch kreativer als die meisten anderen Menschen.
Woran liegt das? Der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat in seinem umfassenden Werk „Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden“ (1997) verschiedene Faktoren aus einer Analyse unterschiedlichster hochkreativer Menschen herausgearbeitet. Einer lautet: Leidenschaft und Objektivität (S.110). Kreative Menschen identifizieren sich mit ihrer Arbeit und erleben sie als sinnstiftend. Sie sind intuitive Meister ihres Faches, die sich selbst in die Kritik nehmen.
Fazit: Sie, Ihre Mitarbeiter und Manager brauchen nicht zum hundertsten Mal neue Kreativitätstechniken, die, sobald sie abgenutzt sind, wieder durch neue ersetzt werden müssen. Unterbrechen Sie diesen zeit- und kostenaufwendigen Kreislauf. Finden Sie lieber einen Sinn in Ihrer Arbeit. Und dazu ist Intuition ausgesprochen zieldienlich.
Zukunftsfragen
Trendanalysen, Visions- und Strategieentwicklung sind wichtig für die zukünftige Entwicklung Ihres Unternehmens. Das grundsätzliche Vorgehen dabei, aus der Analyse der Vergangenheit über die Gegenwart eine Linie in die Zukunft zu projezieren hat eine gewisse Berechtigung. Schade nur, dass sich Zukunft auch durch die trickreisten Algoritmen nicht umfassend berechnen lässt. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt.
Die üblichen rationalen Strategien zur Beantwortung von Zukunftsfragen lassen sich gut durch Ihre Intuition ergänzen. Damit haben Sie immer noch keine Garantie, aber die haben Sie selbst bei einer Waschmaschine nur auf zwei Jahre.
Theorie: Wie kann Intuition erklärt werden?
Begriffliches vorab
In den folgenden Texten finden Sie die Begriffe Affekte, Emotionen, Gefühle und Fühlen in synonymer Verwendung. Gemeint ist dabei eine „…von inneren oder äußeren Reizen ausgelöste, ganzheitliche psycho-physische Gestimmtheit von unterschiedlicher Qualität, Dauer und Bewusstseinsnähe.“ (Luc Ciompi (1997): „Die emotionalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik, S. 67)
Daraus folgt, dass durch die mögliche Unbewusstheit von Affekten der gesamte Körper als „Organ“ der Gefühle fungieren kann. Dies steht im Einklang mit dem Konzept der sogenannten „Somatischen Marker“ des Neurologen Damasio – scrollen Sie dazu weiter nach unten.
Implizites Wissen
meint, „…dass wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen.“ (Polanyi (1985): Impliztes Wissen, S. 14). Dieser häufig zitierte Satz erklärt in kürzester Form sehr gut, was mit „impliztem Wissen“ und umfassender, mit impliziter Kognition, gemeint ist: Denkprozesse laufen nicht nur bewusst und verbalisierbar ab, sondern auch unterhalb unserer Bewusstseinsschwelle.
Konkret heißt das: Im Laufe der Zeit sammeln wir alle (professionelle) Erfahrungen, die unsere Handlungssteuerung dergestalt beeinflusst, dass wir Entscheidungen und Handlungen nicht immer bewusst ausführen (müssen). Auf diese Weise ergibt sich ein ökonomischere Vorgehensweise, als wenn wir jedesmal erst überlegen müssten, was zu tun ist.
Subliminale Wahrnehmung
meint eine Wahrnehmung, die analog zum impliziten Wissen, unter unserer Bewusstseinsschwelle abläuft. Recht bekannt ist das Beispiel von subliminalen Werbespots in Kinos. Bewusst sehen wir die in den Film integrierten Bilder nicht, aber sie wirken.
Subliminale Wahrnehmung spielt in intuitiven Prozessen eine wichtige Rolle: Wir sehen und hören etwas unter unserer Bewusstseinsschwelle, verarbeiten diese Daten unbewusst (implizite Kognition) und reagieren wenn nötig intuitiv, indem wir plötzlich auf die Bremse treten, ohne zu wissen warum. Wenn dann plötzlich ein Kind vor der Kühlerhaube auftaucht, sind wir froh, dass wir mehr wahrnehmen, als wir glauben wahrzunehmen.
Somatische Marker
sind funktional spezifische Affekte, die durch körperliche Empfindungen (Bauchgefühl!) unsere Aufmerksamkeit auf positive oder negative Erlebnisse lenken und somit als Start- oder Stopsignal für eine Handlung wirken. Das Konzept geht auf den amerikanischen Neurologen Antonio Damasio zurück, der die somatischen Marker 1997 das erste Mal populärwissenschaftlich in seinem Buch „Descartes‘ Irrtum“ darstellte.
In dem täglichen Wust von relevanten und irrelvanten Daten können durch Affekte als somatische Marker relevante Daten als Cluster gebündelt und so zu einer Entscheidungshilfe werden.
Eine der wichtigsten Ergebnisse aus Damasio’s Forschung: Wenn Hirnareale, die für die bewusste Verarbeitung von Emotionen zuständig sind, durch Unfälle, Krankheiten oder Operationen zerstört werden, verliert der Mensch seine Fähigkeit, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Emotionen und ihre Verarbeitung sind also die Voraussetzung erfolgreichen Arbeitens!
Bedingtheit rationaler und affektiv-intuitiver Prozesse
Diese Theorie geht auf den Schweizer Psychiater Luc Ciompi zurück. In seinem Buch „Die emotinalen Grundlagen des Denkens. Entwurf einer fraktalen Affektlogik“ (1997) erläutert er den Zusammenhang von Affekten und Kognitionen, vereinfacht gesagt: Die Verbindung von Denken und Fühlen.
Gefühle liefern die Energie für jegliches Denken und sind somit die fundamentalen Motivatoren. Gefühle bestimmen permanent unseren Aufmerksamkeitsfokus, öffnen oder verschließen den Zugang zu Gedächtnisinhalten und sind ein wichtiges Mittel zur Komplexitätsreduktion. Ciompi ergänzt und bestätigt die neurologischen Forschungen Damasio’s aus psychiatrischer Sicht.
Enterisches Nervensystem
Eher spekulativ, aber doch interessant ist der Zusammenhang zwischen Intuition und dem sogenannten „Enterischen Nervenssystem“ (ENS): Es ist das Nervengeflecht um den Dünn- und Dickdarm herum. Das ENS ist ein autonomes Nervensystem, dass auch dann voll funktionsfähig bleibt, wenn es vom Zentralen Nervensystem (ZNS) getrennt wird. Es führt trotz Trennung erstaunlicherweise noch seine Funktionen, wie den für die Verdauung notwendigen Peristaltischen Reflex, weiterhin durch.
Spekulieren ließe sich um einen möglichen Zusammenhang zwischen ENS und dem bekanntesten Synonym für Intuition: Das Bauchgefühl oder gut feeling.
Sie wollen mehr über professionelle Intuition erfahren?
- Hörsendungen zum Thema „Intuition“ von Dr. Andreas Zeuch